Rückforderung von Fördermitteln bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge
I. Einleitung
Die praktische Umsetzung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge im Unterschwellenbereich, die Kriterien sowie Folgen wurden bereits im Vergabeblog.de vom 26/01/2017, Nr. 28917, thematisch behandelt. Noch einmal kurz zusammengefasst bedeutet Binnenmarktrelevanz, dass die Erteilung eines öffentlichen Auftrags für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten des EU-Binnenmarkts interessant sein kann. Grundsätzlich werden Aufträge mit geschätzten Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte unterschwellig, das heißt nach nationalem Vergaberecht, vergeben. Öffentliche Aufträge, die die EU-Schwellenwerte überschreiten, müssen oberschwellig, das heißt europaweit ausgeschrieben werden. Stellt ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen einer Unterschwellen-Vergabe das Vorliegen der Binnenmarktrelevanz fest, weil ein grenzüberschreitendes Interesse am öffentlichen Auftrag besteht, so muss er in der Folge die Vorgaben des europäischen Primärrechts einhalten.
Vor diesem Hintergrund ist die Frage interessant, ob ein Fördermittelgeber bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz zum Widerruf der Zuwendung und zur Rückforderung der Fördermittel berechtigt ist, wenn der Zuwendungsempfänger einen öffentlichen Auftrag mit grenzüberschreitendem Interesse nicht entsprechend dem EU-Primärrecht mit den gegenüber dem nationalen Recht erhöhten vergaberechtlichen Anforderungen vergeben hat.
II. Grundsätzliche Bindung an das Vergaberecht
Zuwendungsempfänger sind grundsätzlich durch Regelungen im Fördervertrag oder durch Auflagen in Förderbescheiden zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet. Grundsätzlich werden in der Förderung Bescheide erlassen, in denen direkt Auflagen enthalten sind, oder zumindest allgemeine Nebenbestimmungen zum Gegenstand des Förderbescheids gemacht, die eine Pflicht zur Einhaltung des Vergaberechts für Zuwendungsempfänger begründen.
Die Frage, ob die Fördermittel durch den Fördermittelgeber zurückgefordert werden können, wenn der Zuwendungsempfänger trotz Vorliegens eines grenzüberschreitenden Interesses bei der Unterschwellen-Vergabe die erhöhten Anforderungen des EU-Primärrechts nicht erfüllt hat, hängt also davon ab, ob die Formulierung der konkreten Regelung, Nebenbestimmung bzw. Auflage im Zuwendungsrechts-Verhältnis diese Verpflichtung zur Einhaltung der erhöhten Anforderungen des EU-Primärrechts und damit zur Beachtung der Binnenmarktrelevanz umfasst.
In den Bundesländern sowie auf Bundesebene sind allgemeine Nebenbestimmungen, die zum Gegenstand der Förderung gemacht werden, in unterschiedlicher Weise ausgestaltet.
Die ANBest-GK für Gebietskörperschaften, die ANBest-I für die institutionelle Förderung, die ANBest-P für die Projektförderung sowie die ANBest-K für die kommunalen Körperschaften enthalten regelmäßig Regelungen zur Vergabepflicht jeweils unter der Ziffer 3. Dort wird festgelegt, dass der Zuwendungsempfänger bei der Beauftragung von Dritten das GWB, den 2. Abschnitt der VOL/A bzw. die VgV, den 1. und 2. Abschnitt der VOB/A, den 1. Abschnitt der VOL/A bzw. die UVgO, das Mittelstandsförderungsgesetz (MFG), Wertgrenzenverordnungen oder -erlasse sowie die Umweltrichtlinien zum öffentlichen Auftragswesen zu beachten hat. Zudem wird zuweilen die Verpflichtung des Zuwendungsempfängers mit Verweisen auf übrige Haushaltsbestimmungen oder "andere Vergabebestimmungen" festgelegt.
Die ANBest-ESF/EFRE enthalten für den oberschwelligen Bereich üblicherweise ebenfalls Regelungen zur Anwendbarkeit des GWB, des 2. Abschnitts VOL/A bzw. der VgV, des 2. Abschnitts VOB/A und für den unterschwelligen Bereich zur Anwendbarkeit des 1. Abschnitts VOL/A bzw. der UVgO, des 1. Abschnitts VOB/A sowie der Wertgrenzenverordnungen bzw. -erlasse bei der Auftragsvergabe. Ähnlich ist es oftmals in den ANBest-ELER geregelt.
Allen allgemeinen Nebenbestimmungen ist im Wesentlichen gemein, dass die Frage der Art der jeweils im konkreten Fall anzuwendenden Bestimmungen davon abhängt, welcher Leistungsart der zu vergebende Auftrag unterfällt, ob die EU-Schwellenwerte über- oder unterschritten werden und ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Auftraggeber handelt, der Zuwendungen erhält.
Durch die genannten Regelungen in den Bescheiden selbst oder in den Nebenbestimmungen sind damit sowohl öffentliche Auftraggeber als auch private Auftraggeber an unterschiedliche vergaberechtliche Regelungen gegenüber dem Fördermittelgeber gebunden. Würde die Anwendbarkeit dieser Regelungen nicht auf diese Weise festgelegt werden, wären weder private noch öffentliche Auftraggeber im Zuwendungsrechts-Verhältnis gegenüber dem Fördermittelgeber zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet, auch wenn unter Umständen Letztere den Rechnungshöfen gegenüber vergaberechtlich Rechenschaft ablegen müssen. Denn dies betrifft nicht das Zuwendungsrechts-Verhältnis.
III. Ist Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz ein Auflagenverstoß?
Damit der Fördermittelgeber gegenüber Zuwendungsempfängern die Zuwendungen jedoch widerrufen und zurückfordern kann, benötigt er eine Rechtsgrundlage. Als Rechtsgrundlage für den Widerruf sowie die Rückforderung kommen grundsätzlich §§ 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 49a Abs. 1 VwVfG in Betracht. Danach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen und die Fördergelder zurückgefordert werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht erfüllt hat.
Kern des Problems bei der Verpflichtung zur Einhaltung des EU-Primärrechts bei öffentlichen Aufträgen im Unterschwellenbereich ist die Frage, ob die Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz als "Vergabeverstoß" im Zuwendungsrechtsverhältnis gleichzeitig einen Auflagenverstoß darstellt.
Gegen eine Auflage kann ein Zuwendungsempfänger nur dann verstoßen, wenn die Auflage wirksam Bestandteil des Förderbescheids geworden ist.
Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGHs sowie der Mitteilung der EU-Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht (2006/C 179/02) ergibt sich, dass bei Unterschwellen-Vergaben von öffentlichen Auftraggebern, bei denen die EU-Vergaberichtlinien wegen Unterschreitens der EU-Schwellenwerte keine Anwendung finden, bei Vorliegen der Binnenmarktrelevanz des öffentlichen Auftrags dennoch das EU-Primärrecht Anwendung findet.
Das EU-Primärrecht umfasst die EU-Grundfreiheiten und die EU-Grundsätze. Dazu zählen genauer der EU-Vertrag (EUV), der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV), der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom), die Grundrechte-Charta sowie allgemeine Rechtsgrundsätze. Darunter fallen der freie Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung, Transparenz, Verhältnismäßigkeit und der gegenseitigen Anerkennung.
Die oben genannten Arten von Nebenbestimmungen zu den Förderbescheiden beinhalten für Zuwendungsempfänger in der Regel Verweise auf die Verpflichtung zur Einhaltung des GWB, des 2. Abschnitts VOL/A bzw. der VgV, 1. Abschnitts VOL/A bzw. der UVgO, des 1. und 2. Abschnitts VOB/A, des MFG, der Wertgrenzenverordnungen oder -erlasse, der allgemeinen haushaltsrechtlichen Vorschriften oder bestenfalls "anderer Vergabebestimmungen". In den Bescheiden selbst sieht es regelmäßig nicht anders aus.
Aus diesen Regelungskomplexen wird das Kriterium der Binnenmarktrelevanz jedoch nicht abgeleitet. Abgeleitet wird die Verpflichtung zur Einhaltung der im Vergleich zum nationalen Vergaberecht erhöhten Anforderungen beim Vorliegen von grenzüberschreitendem Interesse insbesondere aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und dem EU-Vertrag (EUV). Der freie Warenverkehr ist in Art. 28 - 37 AUEV, die Niederlassungsfreiheit in Art. 49 - 55 AEUV, die Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 - 62 AEUV, die Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung in Art. 10, 18 - 25 AEUV, die Transparenz in Art. 15 AEUV, die Verhältnismäßigkeit in Art. 5 EUV sowie die gegenseitige Anerkennung in Art. 81, 82 AUEV EU-primärrechtlich geregelt.
Konkret und ausdrücklich wird in den Regelungen zur Einhaltung des Vergaberechts in den Bescheiden, Nebenbestimmungen bzw. Auflagen auf diese Artikel des AEUV und EUV nicht verwiesen. Auch pauschal erfolgt keine Erklärung der Anwendbarkeit des EU-Primärrechts.
Der Begriff der Binnenmarktrelevanz oder des grenzüberschreitenden Interesses wird selbst nicht erwähnt. Die vom EuGH aufgestellten und in der genannten Mitteilung der EU-Kommission aufgeführten Kriterien und Folgen beim Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses eines öffentlichen Auftrags finden dort auch keine Erwähnung.
Die Binnenmarktrelevanz ist auch nicht Ausfluss haushaltsrechtlicher Bestimmungen, die lediglich im Sinne der so genannten Haushaltslösung das Unterschwellen-Vergaberecht gestalten und die vorrangig der Einhaltung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Gelder, nicht jedoch der Sicherung eines EU-Binnenmarktes mit den oben genannten EU-Grundfreiheiten und EU-Grundsätzen dienen.
Allenfalls erwogen werden kann, ob das EU-Primärrecht sich unter die in den Bescheiden oftmals zu findende Formulierung der "anderen Vergabebestimmungen" fassen lässt.
Im Ergebnis muss dies nach Ansicht des Verfassers verneint werden. Sicherlich können mit "anderen Vergabebestimmungen" Regelungen der VgV, des GWB, der Vertrags- und Vergabeordnungen und der Gestaltung des Vergaberechts dienende Vergabegesetze, Tariftreuegesetze, Verordnungen und Erlasse gemeint sein, die eigens für Zwecke der Gestaltung ordnungsgemäßer Vergabeverfahren kodifiziert wurden, wenn sie keine eigenständige ausdrückliche Erwähnung in den Nebenbestimmungen finden.
Das EU-Primärrecht stellt jedoch die Spitze der Normhierarchie des Unionsrechts dar. Mit seinen Grundfreiheiten und Grundsätzen verfolgt es den Sinn und Zweck die Grundordnung der Europäischen Union zu bestimmen. Es wurde aber nicht speziell und konkret zur Ausgestaltung des Vergaberechts kodifiziert. Darüber hinaus richtet es sich an öffentliche Auftraggeber in den Mitgliedstaaten, das heißt, insbesondere die Gebietskörperschaften wie der Bund, die Länder und die Kommunen. Private Auftraggeber sind jedoch bei ihrem Handeln grundsätzlich nicht gehalten, das EU-Primärrecht zu beachten. Ihnen kommt in der freien Marktwirtschaft die Privatautonomie in Form der Vertragsfreiheit zu.
IV. Überlagerung durch das EU-Recht
Etwas Anderes wird sich allenfalls in der Förderung mit EU-Mitteln ergeben, da das EU-Recht das nationale Recht überlagert. Dazu wurde im Rahmen der Förderung bereits im Vergabeblog.de vom 29/01/2018, Nr. 35265 ausführlich Stellung genommen. Da sich die Förderung mit EU-Mitteln, ihre Verwaltung, Begleitung sowie Kontrolle nach dem EU-Recht richten, für dessen wirksame Durchsetzung das Effizienzgebot des "effet utile" gilt, ist es trotz fehlenden Verweises auf die Pflicht zur Beachtung der Binnenmarktrelevanz öffentlicher Aufträge möglich, dass EU-Mittel aufgrund von Rechtsgrundlagen in den entsprechenden EU-Verordnungen wiedereingezogen werden. Das gilt dann unabhängig von der Wirksamkeit eines Bescheids, der Nebenbestimmung oder einer Auflage.
V. Fazit
Zwar hängt es stets von der Formulierung der Bescheide, Nebenbestimmungen bzw. Auflagen im konkreten Einzelfall ab: Im Ergebnis werden Förderverträge und Förderbescheide aber regelmäßig nicht dahingehend ausgelegt werden können, dass der Fördermittelgeber Konsequenzen gegenüber dem Zuwendungsempfänger aus wegen Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz herrührender Vergabewidrigkeit wird knüpfen können. Das gilt sowohl für öffentliche als auch private Auftraggeber. Ein Zuwendungsempfänger wird daher unter Umständen europarechtswidrig, nicht jedoch förderrechtswidrig handeln. Bei der EU-Förderung wird es wegen des vorherrschenden Effizienzgebots zur wirksamen Durchsetzung des EU-Rechts jedoch unter Umständen für Fördermittelgeber dennoch möglich sein, die EU-Mittel bei Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz durch Zuwendungsempfänger wiedereinzuziehen.
VI. Praxistipp
Für die Praxis bedeutet dies: Unter Umständen und abhängig von der Formulierung der konkreten Regelung oder Nebenbestimmung bzw. Auflage im Förderbescheid können Widerrufe und Rückforderungen von Fördermitteln wegen Nichtbeachtung der Binnenmarktrelevanz rechtswidrig sein. Zuwendungsempfänger sollten sich jedoch nicht darauf verlassen und es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen. Es ist daher zwingend anzuraten, Vergabeverfahren dennoch stets in Abstimmung mit dem Fördermittelgeber durchzuführen. Bei der Förderung mit EU-Mitteln ist ohnehin höchste Vorsicht und Absprache mit dem Fördermittelgeber geboten, da in diesem Bereich durch das Effizienzgebot strengere und höhere rechtliche Anforderungen herrschen und die Fördermittel bei Unregelmäßigkeiten in Form von Vergabeverstößen fast ausnahmslos wiedereingezogen werden dürfen.